Garnelen: Wenn Herr Wu chinesisch kocht | STERN.de

2022-09-18 03:45:10 By : Ms. Sunny Li

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Herr Wu – ist das der Chinese, der herrlich alte Rieslinge so ungemein preiswert ausschenkt?" "Das isser", gab ich Heiner Lobenberg zur Antwort, dem Weinhändler, der jedem die Flasche 2017er Wehlener Sonnenuhr vom Weingut Dr. Loosen zuschickt, der 14 Euro dafür auszugeben willens ist. Was hiermit empfohlen wird – der Wein ist das Beispiel für jene süßsauren Möselchen, wie sie zur China-Küche passen und von ihm, Herrn Wu, fürs links stehende Gericht empfohlen werden.

Gemeinhin geht es auf diesen Seiten um Speisen, die man zu Hause kochen kann, so man ein kulinarisches Gesäß in der Hose hat und nicht Tiefkühlpizza vorm Bildschirm essen will. Diesmal ist die Sache anders, diesmal geht es um ein China-Restaurant mit Namen "Hot Spot", das in Berlin liegt, außergewöhnlich ist und von Herrn Wu geführt wird. Ursula Heinzelmann hat ein Wu-Kochbuch verfasst, das seine Gerichte zugänglich macht ("China – Die Küche des Herrn Wu"; Verlag Tre Torri). Auch dies sei hiermit empfohlen.

Im Grunde aber will ich alle Leser zu einer Reise und einem Besuch bei Wu verführen, auf dass sie sich zum Riesling bekehren, wie er zur China-Küche so gut passt. Somit ist dies der Versuch, Sie, liebe Leser, anzufüttern. Und damit der Versuch gelingen kann, stellen Sie bitte eine Flasche Wehlener Sonnenuhr in einen Eiskübel, kochen nachstehendes Rezept und genießen Wein und Speise zusammen.

Die Zutaten: 2 große Zwiebeln, je 1/2 rote und grüne Paprikaschote, 16 ungeschälte Garnelen mit Kopf, 3 EL Rapsöl, 2 TL Chili Flakes, 2 TL Szechuan-Pfeffer, 2 gestr. TL Salz sowie Rapsöl zum Frittieren.

Die Kochschritte: Zwiebeln schälen, Paprika putzen und waschen, beides in ca. 1/2 cm große Würfel schneiden. Garnelen waschen, mit einer Schere entlang des Rückens aufschneiden und schälen, Beine und Rückenpanzer entfernen, Schwanz und Kopf belassen, Garnelen trocken tupfen.

Reichlich Öl zum Frittieren erhitzen (auf ca. 160 Grad).

In einem Wok oder einer großen Pfanne 3 EL Öl erhitzen, Zwiebeln und Paprika darin unter Rühren farblos anschwitzen, am Ende Chili und Szechuan-Pfeffer mitbraten.

Zugleich die Garnelen frittieren – ca. 30 Sekunden sind genug –, mit einem Schaumlöffel herausnehmen, mit dem Salz zum Gemüse geben, bei starker Hitze durchschwenken und anrichten.

"Welcher passt besser?", fragt Herr Wu beim Schwenken zweier Gläser mit gegensätzlichen Weinen, einem 1999er Jos. Christoffeljun. aus Ürzig an der Mosel und einem 1988er Château Cantemerle aus Bordeaux. Es ist ein Sommerabend in Berlin. Prüfend senkt Wu seine Nase an das Glas, wittert, schlürft, zieht Luft in den Mund und lässt die Aromen tanzen. Das macht er, ohne in jenes Weingeschwelge auszubrechen, das von Nuancen schwärmt, die nur Eingeweihte nach 50 Jahren praktizierter Trunksucht schmecken. Lieber packt Wu für weitere Vergleiche die nächste Flasche aus: "Ich hol da noch mal was."

Gut, derlei mag unter Schluckspechten nicht ungewöhnlich sein – ungewöhnlich ist aber die Breite der Verkostungsmöglichkeiten, ist der Umfang von Wus Weinkarte von fast 300 Positionen, die preislich so gestaltet sind, dass sich die ans samariterhafte gehende Güte des Gastwirts bis Bremen rumgesprochen hat. Bis Bremen? Ach was – von überall fallen die Winzer den Staren gleich bei Wu ein, um nach langen Weinpräsentationen am Tage am Abend kurzweilig zu schmausen und weitere Weine zu probieren. Weine, wie nur Wu sie hat.

Und noch etwas erwartet man nicht in einem China-Restaurant. "Ich finde, dass die Interpretation des dritten Satzes in Beethovens Siebter eigentlich nur in Furtwänglers Aufnahme von 1953 zu ertragen ist", sagt Herr Wu und ergeht sich als Nächstes in lustigen Abfälligkeiten über Karajan.

Natürlich liegt der Reiz von derlei Gesprächen mit Herrn Wu auch in der Drolligkeit der Situation, darin, dass derlei von einem Mann mit chinesischem Akzent über einer Schale Quallensalat vorgetragen wird. Herr Wu versteht von westlicher Musik und Literatur weit mehr als der Durchschnittseuropäer. Alles angelesen und in stillen Stunden angehört.

Mit Gustav Mahler fing es an, den Wu noch in einem chinesischen Betrieb während der Mittagspause zufällig hörte und von dessen Klangbreite er tief beeindruckt war. Als letzter Jahrgang von Maos Kulturrevolution gequält (im Winter barfuß Kuhdung in geflutete Reisfelder treten), gehörte Wu zu den Ersten, die von der Öffnung Chinas durch Deng Xiaoping profitierten.

Offiziell studierte er Maschinenbau, tatsächlich aber las er Shakespeare und Romane von Charles Dickens, Jane Austen und den Brontë-Schwestern. Für ein Diplom reichte es trotzdem. 1984 ergatterte er ein Stipendium für West-Berlin. Dort verfiel er erst dem Bordeaux und dann dem Riesling, für beide ist er Experte. Wu kehrte nie zurück.

Persönlich kocht er nur privat für sich. In seiner Küche arbeitet Fachpersonal aus China. Wu selbst ist Sommelier, dirigiert Auswahl und Geschmack der Küche, hält starke Meinungen betreffs Goethe ("Warum nur ist der Mann berühmt?!"), Hegel ("unlesbar") oder Nietzsche ("Wirrkopf") vor, schwärmt aber dafür für Melville, Hemingway und Hawthorne.

Als er voriges Jahr den zehnten Geburtstag seines Lokals in der Eisenzahnstraße feierte, ließ er die Straße sperren und Wagners "Parsifal" spielen. Von Sterne-Köchen (Christian Lohse) bis zu Politikern (Renate Künast) kochten Stammgäste auf.

Muss ich noch mehr erzählen? Herr Wu ist eine Wucht, und was er auspackt – Weine, Meinungen und Geschichten –, ist klasse. Also hin zu ihm und in die Hauptstadt, Berlin ist eine Reise wert. 

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